Tilla Theus gestaltet Drachenburg und Waaghaus

Sie gehört zu den ganz Grossen ihres Fachs und hat ihren frühen Anspruch, als Architektin für alle Belange ihrer Bauten zuständig zu sein, kompromisslos umgesetzt. Hoch begabt und voller Leidenschaft für ihren Beruf hat sie sich Respekt verschafft, ihren Weg konsequent verfolgt und sich mit Neubauten im städtebaulich anspruchsvollen Kontext ebenso einen Namen gemacht wie mit der Sanierung und Erweiterung von denkmalgeschützten Objekten. Auch Gastronomen, nicht nur im Kanton Zürich, vertrauen ihrem Können. Die gebürtige Bündnerin lebt in Zürich und Graubünden und ist auch nach 50 Jahren erfolgreicher Berufstätigkeit kein bisschen müde. Tilla Theus hat die Architekturausschreibung für die Grundsanierung und den Umbau von Drachenburg und Waaghaus in Gottlieben für sich entschieden. Mit ihrer Leidenschaft, ihrer Liebe zum Detail und dem Blick fürs Ganze hat sie die Jury überzeugt.


Frau Theus, der gemeinsame Weg in Gottlieben hat begonnen. Schon bald wird, nach dem Mammertsberg, ein weiteres Wahrzeichen im Kanton Thurgau in neuem Glanz erstrahlen und Ihre ganz besondere Handschrift tragen. Was bedeutet Ihnen dieses Projekt?
Der Entschluss der Stiftung, einem Traditionsbetrieb an attraktiver Lage und in einem romantischen Dorf die Zukunft zu sichern, überzeugte mich als richtig und weitsichtig und weckte meine Freude, architektonisch zum Gelingen beizutragen.

Sie haben einmal gesagt, «Leidenschaft muss sein» – was hat Ihre Leidenschaft für das Projekt Gottlieben geweckt? War es Liebe auf den ersten Blick oder hat sich die Begeisterung, die sich in Ihren Entwürfen spiegelt, mit der intensiven Auseinandersetzung entwickelt?
Drachenburg und Waaghaus kenne ich aus der Zeit, als ich für Robert Holzach den Umbau des «Bodmanhaus» begleiten durfte. Suche ich als Gast ein Restaurant oder Hotel, entscheidet oft spontan die Liebe auf den ersten Blick. Für mich als Architektin ist er jedoch trügerisch. Ich muss das Gebäude und die Absichten der Bauherrschaft genau kennen. Dann kann sich die Liebe allmählich entwickeln. Das war in Gottlieben glücklicherweise der Fall.

Sie haben mit Ihren Entwürfen neue Seiten des historischen Ensembles zur Geltung gebracht; man hat das Gefühl, Sie haben das Bestehende durchdrungen und neu gedacht. Und was ist Ihre Vision für die beiden Häuser?
Das Planen beginnt für mich mit einer Detektivarbeit. Ich will bis in den letzten Winkel, ja bis in die Seele hinein mit einem Gebäude vertraut werden und seine Stärken und Schwächen entdecken. Dafür studiere ich auch die alten Pläne. Es ist für mich unmöglich, gegen den Charakter eines Gebäudes zu arbeiten. Das kommt schief. Erfolgreich ist nur, dem Charakter respektvoll Rechnung zu tragen.

Daraus entwickelt sich die Vision. Für Drachenburg und Waaghaus lautet sie, eine erste Adresse zu werden, ein Erlebnisort, kurz eine Perle am Untersee. Selbstverständlich mit einer effizienten betrieblichen Struktur.

Sie haben sich in der Vergangenheit vertieft mit historischen, denkmalgeschützten Objekten im Zusammenhang mit Nutzungen im Gastronomie- und Hotelbereich befasst, welche besonderen Herausforderungen stellen sich in diesem Kontext?
Mit meinem Büro realisierte ich an die zwanzig Gastronomiebetriebe: Vom Gipfelrestaurant auf dem Aroser Weisshorn bis zum «Castello al Sole» am Lago Maggiore, vom Luxushotel «Widder» bis zu den 3-Sterne Hotels «Adler» und «Ochsen» im aargauischen Muri, vom Edelrestaurant «Ornellaia» bis zum populären «AuGust» und «Clipper» in Zürich. Als Beispiel aus dem Thurgau nenne ich gerne den «Mammertsberg» in Freidorf.

Die Erfahrung im Gastrobereich konnte ich über Jahre wohl auch deshalb sammeln, weil ich selber die Tafelfreuden und die Gastfreundschaft geniesse und es eine ausgesprochen spannende Aufgabe finde, hierfür den stimmungsvollen Rahmen zu schaffen. Das Auge isst bekanntlich mit und soll mit Vergnügen über den Tellerrand hinaus schweifen können.

Die besondere Herausforderung im Gastronomie- und Hotelbereich besteht im Gegensatz zu einem Wohnhaus darin, für die multifunktionale Nutzung tragfähige Lösungen zu finden. Der Gast will sich wohlfühlen, entspannen, seine Ruhe haben. Das Personal legt Wert auf einen durchdachten Arbeitsplatz, der den rationellen Einsatz erlaubt. Es gilt, zwei je eigene, sogar widersprüchliche Welten unter einem Dach in Einklang zu bringen.

Wenn man sich die lange Liste Ihrer Projekte anschaut, verblüfft auch die Vielseitigkeit Ihrer Arbeiten. Sie scheinen sich im anspruchsvollen Kontext von historischen Gebäuden genauso souverän zu bewegen, wie im weiten Feld neuer Architektur. Ich habe einmal gelesen: «Tilla Theus macht Häuser zu Verbündeten.» Ist das so etwas wie ein Erfolgsrezept?

Ich tönte es bereits an: Jedes Gebäude hat seine eigene und unverwechselbare Persönlichkeit. Auf sie gehe ich ein. Alle meine Bauten sind deshalb ein Unikat. Das ist ein Erfolgsrezept bei Bauherren, denen wie mir die Qualität bis ins Detail am Herzen liegt.

Sie waren dabei, als in Weil am Rhein das erste Gebäude von Zaha Hadid eingeweiht wurde. Es war ein Meilenstein in der Architektur und hat die Grenzen der Statik verschoben. Sie war nach Ihrer Einschätzung eine geniale Baumeisterin mit ausgeprägtem Mut und unbeirrbarer Zuversicht. Das trifft auch auf Sie zu. Was treibt Sie an, woher kommt diese Schaffenskraft, dieser Ideenreichtum?

Die bildende Kunst und Reisen in fremde Länder sind meine Inspirationsquellen und ermutigen mich, immer wieder Neues zu wagen. Noch kann ich aus den Erinnerungen schöpfen, atme aber befreit auf, wenn der Lockdown ein Ende hat.

Als Sie in den 60er Jahren als eine der wenigen Frauen an der ETH Zürich Architektur studierten, fehlten weibliche Vorbilder fast gänzlich. Auch Sie haben sich an den damals grossen Männern der Bauwelt orientiert: Frank Lloyd Wright, Alvar Aalto oder Carlo Scarpa. Deren umfassenden architektonischer Ansatz wollten auch sie umsetzen: Innenräume, Atmosphäre einbeziehen, die Gestaltung von Möbeln, Teppichen oder Lampen als Teil Ihrer Aufgabe einbinden. Sind Sie auch eine Wegbereiterin für die Chancengleichheit von Frauen in Ihrem Beruf

Ich befürworte entschieden die Chancengleichheit der Frauen. Mit Argumenten und Leistungen bin ich meinen Weg gegangen. Mehrere Male wurde ich in einer Baukommissions-Sitzung darum gebeten, das Protokoll zu führen, in der Annahme ich wäre die Sekretärin. Das liegt Jahrzehnte zurück. Älterwerden hat auch seine Vorteile. Eine aktive Wegbereiterin war und bin ich nicht. Aber sicher gab ich Architektinnen durch mein Beispiel einen Ansporn, sich zu behaupten.

Frau Theus, Sie haben einmal gesagt, Sie hätten im Laufe der letzten 50 Jahre gelernt, auch mal Kompromisse einzugehen, nicht immer mit Ihrem «Bündner Grind» durch die Wand zu wollen. Auch in Gottlieben wird es ohne Kompromisse nicht gehen. Das Spektrum der Anforderungen ist komplex: Sie werden einen Weg finden müssen zwischen einem vielleicht kühnen architektonischen Entwurf, den Anforderungen der Denkmalpflege und den finanziellen Möglichkeiten der Stiftung. Wie gehen Sie damit um?

Prallen die Meinungen aufeinander, suche ich das Gespräch auf gleicher Augenhöhe, vertrete meine Ansicht mit gut überlegten Argumenten und erwarte dies auch von der Gegenseite. In diesem kooperativen Geist sind Kompromisse möglich, hinter denen alle Beteiligten stehen können.

Das Interview gibt es hier zum Download.